Aikido-Interview mit Alexander Ermakov, 1. Dan Aikido

(das Interview wurde gegeben im August 2011 für hobbymap.de)

Wie ist Deine Leidenschaft für Kampfkünste entstanden und wie bist du zum Aikido gekommen?
Ich wurde in Russland geboren und lebte dort bis zu einem Alter von acht Jahren. Schnell erkannte ich die Notwendigkeit sich mit dem Thema der Selbstverteidigung zu befassen. Viele Probleme und Konflikte wurden oft schnell und primitiv gelöst: Wer am Ende noch stand, hatte Recht. Daraufhin bin ich einem Selbstverteidigungsclub beigetreten und habe dort „rukopaschnyj boj“ ausgeübt. Das ist ein Nahkampfstil der ehemaligen Sowjettruppen; dabei ist es nicht sonderlich wichtig, ob der andere hinterher noch laufen kann oder nicht. Und so ähnlich war das Training. Es war aggressiv, fordernd, schmerzhaft, aber dafür realitätsnah. Man verließ die Halle so gut wie immer mit Verletzungen und mit dem Gefühl vom Laster überrollt worden zu sein.

Als ich dann nach Deutschland kam, hatte ich oft (fast täglich) Auseinandersetzungen mit anderen Kindern, die mich aufgrund meiner Herkunft angriffen. Das Training in Russland hatte sich bezahlt gemacht und ich bin immer als „Sieger“ aus den Schlägereien herausgekommen. Nach und nach wurde ich respektiert und mit zehn Jahren ließen mich die meisten in Ruhe. Ich war jederzeit bereit für Gewalt und hatte so die Kontrolle über mich oft an das innere Tier abgegeben. Die Gewalt war die „Lösung“ für viele Konflikte und Meinungsverschiedenheiten. Mein Freundeskreis war deshalb sehr klein und viele hatten einfach Angst vor mir. Ich wollte niemanden mehr verletzen und ich wollte als friedlicher Mensch gesehen werden.

Mit 14 Jahren kam ich aufs Gymnasium. Eines Tages besuchte ich nach der Schule einen Grundschulfreund, der auf ein anderes Gymnasium gekommen war. Wir konnten den Kontakt aufrechterhalten und haben so gut wie jeden Tag gemeinsam vor dem PC verbracht. September 2003 hatte er Dienstags immer was anderes vor und keine Zeit. Ich fragte ihn, was er denn da mache. Er sagte, er würde zum Aikido-Training gehen; es sei wohl eine weiche und sehr effektive Kampfkunst. Ich kam, weil ich nicht anderes zu tun hatte, zum Probetraining im TANDEN Dojo Berlin mit.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die Faszination für Kampfkünste aus einer Notwendigkeit entstand und zum Aikido bin ich gekommen, weil ich gerade nichts zu tun hatte.

 

Warum gerade Aikido? Was macht für dich den Reiz und die Faszination von Aikido aus?
Dieser Zufall, damit ist das Probetraining gemeint, sollte sich bald als sehr glücklich erweisen. Bis dahin kannte ich nur wenige Aspekte des Kampfes. In der Regel suchte ich Öffnungen in der Deckung des Gegners und nutzte diese sehr brutal aus. Man hat so lange geschlagen und getreten bis der andere nicht mehr konnte. Man hat also Stück für Stück die Kondition des Gegners abgebaut. Das Aikidotraining dagegen hat mir so viele ganz andere Möglichkeiten und Sichtweisen eröffnet. Im Aikido geht man aus der Angriffslinie des Partners anstatt zu blocken und man leitet diese Angriffskraft um, anstatt seine eigene zu verheizen. Am Ende der Technik findet man oft eine Festhalte, die den Angreifer kontrolliert. Und da ist die Faszination: Es gibt keinen Kampf. Der Angriff führt den Angreifer zur Aufgabe.

Es war ein heftiger Kontrast zu dem, was ich kannte. So wurde ich ein bisschen misstrauisch und testete die Techniken auf Ihre Wirksamkeit: Was passiert, wenn ich bei diesem „Ich greife an und du verteidigst-Spiel“ nicht mitmache? Ich bringe mich in Gefahr. Die schönen, weichen, ja anmutigen Hebel haben auch eine erschreckend schmerzvolle Seite. Wenn man da auf den Körper nicht hört riskiert man schwere Verletzungen wie zum Beispiel Knochenbrüche. Als intelligenter Angreifer folgt man lieber dem vorgegebenen Weg wie auf Schienen. Verlässt man diese kriegt man Feedback vom Körper in Form von Schmerz. Ignoriert man diesen – zerstört man sich selbst. Der Angreifer entscheidet also selber über den Ausgang der Konfrontation.

Grundsätzlich umfasst das Aikido-Training ein breites Spektrum an Techniken. Zum Großteil sind Hebel und Würfe vertreten. Korrekte Schläge und Tritte sind aber auch ein wichtiger Bestandteil des Trainings. Obwohl sie nicht unbedingt für das Aikido selbst notwendig sind, ermöglichen sie doch ein gutes Üben. Ein guter Angriff ermöglicht eine gute Technik.

Neben den technischen Aspekten fasziniert mich die Idee von Ki. Ki (auch Chi, Qi) ist die Lebensenergie aller Lebewesen. Diese fließt im Körper ähnlich wie Blut in eigenen Energiebahnen. Im Aikido arbeitet man intensiv damit. Jede Technik und Bewegung lässt sich mit dem Energiefluss erklären und beschreiben. Man bemüht sich darum diese Energie harmonisch zu führen und umzuleiten anstatt zu bekämpfen. Das Ki fließt dann zwischen den Partnern und das hat eine angenehme und heilende Wirkung (ähnlich wie in Qigong) auf beide Trainingsteilnehmer. Die Harmonie, die man so im Training erfahren kann, hat mich in den Bann gezogen. Nach dem Training ist man aufgeladen, erfrischt und munter.

Diese Kampfkunst fasziniert mich mit der Idee des „Nicht-Kämpfens“, der Effizienz als Selbstverteidigung und der Kultivierung von Körper und Geist.

 

Wie kann man sich Ihr Training vorstellen? Was gehört da alles dazu und wie läuft es in der Regel ab?
Man zieht sich um und bereitet das Dojo auf das Training vor. Matten werden ausgelegt und es werden kleine Reinigungsarbeiten wie Staubsaugen und –wischen gemacht. Ist alles soweit fertig setzt man sich in den Seiza (Kniesitz) an eine gedachte Linie und beginnt mit der Meditation gemeinsam mit dem Lehrer. Die kurze Meditation dient dem Einstellen auf das Training und dem Lösen vom Alltag. Auf ein Kommando vom Sensei (Lehrer) wird diese beendet und man Begrüßt sich mit einer Verbeugung. Man begrüßt zuerst den Shomen (zu erkennen am Bild des Begründers) und dann den Lehrer mit den Wörtern „onegae shimasu“. Das heißt in etwa: „Ich möchte von dir lernen.“

Es folgt die Erwärmung. Die Erwärmung erinnert stark an Yoga und Qigong. Man achtet auf die Atmung und aktiviert mit relativ langsamen Bewegungen den Körper von Kopf bis Fuß. Man erwärmt sich ohne zu verausgaben, so dass man Ressourcen für das Training selbst behält. Die Erwärmung wird gefolgt von „ukemi“ (Fallschule) und „suwariwaza shikko“ (einer Gangart in Kniehöhe). Die beschriebenen Anfangsübungen bleiben grundsätzlich in allen Trainingseinheiten gleich und bildet zusammen mit den Abschlussübungen den Rahmen des Aikidotrainings.

Danach folgt das eigentliche Training der Aikido-Techniken. Die Übung wird vom Lehrer vorgezeigt und erklärt. Dazu begrüßt er einen Schüler, der dann als Partner die Rolle des Angreifers (Uke) übernimmt. Fußposition, Angriffsart und Technik werden bestimmt. Der Schüler greift an und der Lehrer zeigt die Technik einige Male in Echtzeit vor. Dann ein paar Mal langsam mit Erklärungen und Hinweisen. Zum Abschluss nochmal die schnelle Variante. Auf das Kommando „hai dozo“ beginnt das Üben. Trainiert wird meist in Zweiergruppen. Man sucht sich einen Trainingspartner und grüßt diesen mit einer Verbeugung an. Uke (Angreifer) und Tori (Verteidiger) sind festgelegt und die Rollen werden alle vier Abläufe gewechselt. Dadurch wird das Verletzungsrisiko niedrig gehalten und beide Partner können effektiv lernen. Währenddessen geht der Lehrer durch den Raum, korrigiert und hilft den Schülern bei Fragen und Unklarheiten. Das Ende der Übung wird mit „jame“ signalisiert. Man nimmt wieder an der Linie Platz. Es wird entweder die nächste Übung gezeigt, oder aber die gerade geübte nochmal erklärt und verfeinert.

Den Abschlussrahmen des Trainings bilden suwariwaza kokyoho, was soviel wie „Atemkrafttechik im Sitzen“ heißt, gefolgt von einer Meditation. Dann verbeugt man sich noch einmal vor dem shomen und grüßt den Lehrer mit den Worten „domo arigato gozaimashita“ ab. Das heißt wiederum: „Vielen herzlichen Dank“. Das Training ist beendet. Kurz nochmal die Matten mit dem Staubsauger bearbeiten. Fertig.

Man geht aus dem Training frisch und gut gelaunt raus. Bei mir ist es oft so gewesen, dass ich völlig kaputt, müde und kaum motiviert zum Training gegangen bin und hinterher munter und fit war. Neben dem normalen Training gibt es im TANDEN Dojo Berlin auch Waffentraining und „Budo Basics“-Kurse, die sich im speziellen mit Waffentechniken oder Schlägen, Tritten, Blöcken und korrekten Ständen beschäftigen. Der Rahmen ist dabei der gleiche wie im normalen Training. Lediglich der Inhalt ist ein anderer. Es besteht auch die Möglichkeit an freiem Training teilzunehmen. Freies Training wird von anderen Schülern gehalten und befasst sich mit speziellen Themen wie zum Bespiel der Fallschule. Hier hat man die Möglichkeit die für sich selbst interessanten Sachen zu üben oder sich auf Prüfungen vorzubereiten.

 

Was waren bislang deine ganz persönlichen „Aikido-Highlights“, welche tollen Momente und Erlebnisse hat dir diese Kampfkunst schon beschert?
Puh... da gab es viele. Einige Highlights sind wiederkehrender Natur. Je nachdem wie das Training gestaltet wird stellt man immer wieder fest, dass der menschliche Körper enormen Kräften standhalten kann und mit der korrekten geistigen Haltung fast unverwundbar wirkt; oder man staunt, wie zerbrechlich dieser ist. Ein grandioses Erlebnis hatte mir schon des Öfteren das Waffentraining beschert. Ich kann mich noch genau an die 7-er Jo Kata mit meinem Trainer, Konstantin Rekk, erinnern. Geübt wurde eine Partnerform, bei der beide Personen dieselbe Bewegungsabfolge machen. Die Stäbe treffen immer wieder aufeinander, man atmet und bewegt sich gemeinsam – versucht ein harmonisches Tempo zu halten. Wenn bis dahin alles gut läuft, kann man das Tempo erhöhen. Mit Kampfschrei (kiai) steigert man sich in eine Art Rausch, bei dem man sozusagen den „inneren Dämon“ freilässt. Jeder Kontakt der Stäbe schien den Raum zum Beben zu bringen. Es ist ein herrliches Gefühl sich selbst leben zu spüren.

Tolle Momente waren auch im Bereich der Selbstverteidigung vorhanden. Zum Beispiel wurde ich von einem betrunkenen Mann mit einem Fauststoß attackiert, der davon überzeugt war, dass ich seine Zigaretten geklaut hätte. Dem Schlag konnte ich ausweichen. Ich hatte ihn am Hals gegriffen und kontrolliert. Während ich ihn festhielt spürte ich, dass sich mein Stand, Körperhaltung und Wahrnehmung von alleine veränderten. Es war wie ein Computer, der gerade hochgefahren wird. Ich hatte jederzeit die Möglichkeit eine Technik anzusetzen oder einfach nur zuzuschlagen. Ich tat es nicht. Nach etwa zehn Sekunden ließ ich ihn einfach los und der verwirrte Mann ging ohne ein Wort zu sagen. Es war großartig: keiner wurde verletzt und die Aggression wurde im Keim erstickt.

Es gibt nach nun acht Jahren Aikido eine Menge Highlights wie diverse Seminare, Sprungrollen über acht Personen, zerborstene Holzwaffen, die ich noch mitteilen könnte. Dieses würde aber den Rahmen sprengen und deshalb lasse ich vieles weg.

 

Welche persönlichen Ziele willst du mit Aikido noch erreichen?
Ich will das Aikido mein Leben lang ausüben. Ich hoffe sehr stark, dass ich niemals der Meinung sein werde alles zu wissen und mein weiteres Vorankommen selber, durch falschen Stolz, verhindere. Vielleicht eröffne ich irgendwann ein eigenes Dojo und werde selber der weise Sensei, der anderen Menschen einen spannenden und bereichernden Lebensweg eröffnet. Mir hat das Aikido bereits sehr geholfen mein Leben in den Griff zu kriegen. Probleme und Konflikte geht man mit innerer Ruhe, Ehrlichkeit und Bedacht an. Ich bin nicht mehr der Schläger, der Feinde in anderen Menschen sieht, sondern ein Mensch, der sich in diese hineinversetzt und die Aggression statt des Lebewesens zerstört.

 

Welche Tipps und Hinweise kannst du all denen geben, die mit dem Gedanken spielen mit Aikido anzufangen. Über welchen Weg und mit welcher Einstellung findet man am besten in diese Kampfkunst hinein?

Offenheit und Selbstenttäuschung sind die primären Begriffe. Selbstenttäuschung heißt, dass ich selbst die Täuschung oder Illusion entferne und somit der Wahrheit näher komme. Gehen Sie erwartungslos und spontan in das Training ohne großartige Vorbereitung. Es bringt Sie nicht weiter, wenn dieses ewig vor sich hergeschoben wird. Die meisten Dojos bieten die Möglichkeit eines kostenlosen Probetrainings an – nutzen Sie diese! Machen Sie das Training nicht abhängig von anderen, denn Sie wollen diesen Weg gehen. Regelmäßige Teilnahme ist wichtig für das eigene Vorankommen.

Wie viele andere Fähigkeiten auch, bedarf Aikido einer Menge Arbeit und Disziplin. Man sollte bereit zur Selbstenttäuschung sein. Es ist oft unangenehm und schwierig seine eigenen Konzepte zu sprengen. Aber genau darum geht es im Budo. Man arbeitet im Aikido an sich selbst und der Trainingspartner hilft einem dabei. Behält man das im Hinterkopf wird man es sehr viel leichter haben und die Freude wird sich in allen Facetten des Lebens bemerkbar machen.

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